Gesellschafterklage gegen Fremdgeschäftsführer unzulässig

Urteilsanalyse

Mit seinem Urteil vom 25.01.2022 (Az: II ZR 50/20) hat der Bundesgerichtshof Stellung dazu genommen, ob ein einzelner GmbH-Gesellschafter Ansprüche der Gesellschaft gegen einen Fremdgeschäftsführer der GmbH gem. § 43 II GmbHG geltend machen kann.

Der BGH verneinte die Prozessführungsbefugnis aus dem Grund, dass der in Anspruch genommene Fremdgeschäftsführer kein Gesellschafter der GmbH gewesen sei, wodurch eine actio pro socio in diesem Falle ausscheide. Eine dafür notwendige Sonderbezieung zwischen den Parteien läge hier nicht vor.

Eine Öffnung der Gesellschafterklage für Ansprüche der Gesellschaft gegen einen Fremdgeschäftsführer lehnt der BGH ab. Durch eine solche Ausweitung der Gesellschafterklage würden die Kompetenzen der Gesellschafterversammlung gem. § 46 Nr. 8 Var. 1 GmbHG unterlaufen.

Vorinstanzen

  • LG Oldenburg, Entscheidung vom 18.11.2014, Az: 15 O 472/14
  • OLG Oldenburg, Entscheidung vom 24.01.2020, Az: 6 U 235/14

Tatbestand

Der Kläger ist mit einem Geschäftsanteil von 160.000 € an der G. GmbH i. L. (im Folgenden auch: Gesellschaft) beteiligt, deren Stammkapital 800.000 € beträgt. Der Beklagte zu 1 war Geschäftsführer der Gesellschaft. Die frühere Beklagte zu 2 ist Mitgesellschafterin der Gesellschaft und hält die restlichen Geschäftsanteile in Höhe von 640.000 €.

Die Gesellschaft exportierte von der Beklagten zu 2 geliefertes Schweinefleisch nach Südkorea. Die Kaufpreise sollten durch Teilabtretungen von Akkreditivansprüchen eines Zwischenhändlers beglichen werden, die sich in Höhe von 963.780,40 € als nicht werthaltig erwiesen. Für die Forderungsausfälle macht der Kläger den Beklagten zu 1 verantwortlich. Er macht mit der Klage in dieser Höhe einen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft aus Geschäftsführerhaftung geltend.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat das Urteil auf die Berufung des Klägers hin abgeändert und den Beklagten zu 1 unter anderem zur Zahlung von 963.780,40 € nebst Zinsen an die G. GmbH i. L. verurteilt. Mit der vom erkennenden Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte zu 1 seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Urteilsgründe

Die Revision des Beklagten zu 1 hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Berufung des Klägers.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, ausgeführt:

Der Kläger könne im Wege der actio pro socio Schadensersatzansprüche der G. GmbH i. L. gegen den Beklagten zu 1 geltend machen. Eines Gesellschafterbeschlusses nach § 46 Nr. 8 GmbHG habe es hierzu nicht bedurft. Ein solcher Beschluss sei zum einen entbehrlich gewesen, weil die Gesellschaft liquidiert worden sei und seit 2012 keine Geschäftstätigkeit mehr entfaltet habe. Eine Beschlussfassung wäre außerdem eine sinnlose Förmelei gewesen, weil der Beklagte zu 1 als damaliger Geschäftsführer oder Prokurist anderer Gesellschaften aus dem Konzern der Beklagten zu 2 in deren Lager stehe und mit einer Beschlussfassung im Sinne des Klägers angesichts der Mehrheitsverhältnisse nicht zu rechnen gewesen wäre. Der Beklagte zu 1 sei der Gesellschaft auch zum Schadensersatz verpflichtet. Er habe seine Geschäftsführerpflichten bei Durchführung der Exportgeschäfte verletzt, indem er als Gegenleistung für die Fleischlieferungen die Abtretung nicht werthaltiger Forderungen akzeptiert habe.

II.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht die Zulässigkeit der zugunsten der G. GmbH i. L. erhobenen Klage bejaht.

1. Für die im eigenen Namen erhobene Klage fehlt dem Kläger die Prozessführungsbefugnis. Die Prozessführungsbefugnis ist eine Prozessvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens und auch in der Revisionsinstanz vorliegen muss.

2. Ein Gesellschafter einer GmbH kann Ansprüche der Gesellschaft aus § 43 Abs. 2 GmbHG gegen ihren Fremdgeschäftsführer grundsätzlich nicht im eigenen Namen geltend machen.

a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann der Kläger seine Klagebefugnis nicht auf eine actio pro socio stützen, weil der Beklagte zu 1 nicht Gesellschafter der G. GmbH i.L. ist.

aa) Die vom Berufungsgericht herangezogene Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 14. Juli 2004 - VIII ZR 224/02, ZIP 2004, 1708) betrifft die von der Zulässigkeit der actio pro socio zu unterscheidende organisationsrechtliche Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Geltendmachungsbeschluss nach § 46 Nr. 8 GmbHG entbehrlich ist.

bb) Als actio pro socio wird die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Gesellschaftsverhältnis durch einen Gesellschafter im eigenen Namen gegen einen Mitgesellschafter auf Leistung an die Gesellschaft bezeichnet. Die Befugnis wurzelt im Gesellschaftsverhältnis und ist Ausfluss des Mitgliedschaftsrechts des Gesellschafters. Aufgrund dieser besonderen gesellschaftsrechtlichen Beziehung kann ein Gesellschafter einen Mitgesellschafter im Interesse der Gesellschaft in Anspruch nehmen. Das Gesellschaftsverhältnis vermittelt ihm diese Befugnis aber grundsätzlich nicht gegen Personen, zu denen nur die Gesellschaft in einer Sonderrechtsbeziehung steht.

Auch der Gesellschafter einer GmbH ist bei grundsätzlichem Vorrang der inneren Zuständigkeitsordnung der Gesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt, einen Mitgesellschafter aus der gesellschafterlichen Treuepflicht auf Leistung an die Gesellschaft in Anspruch zu nehmen.

cc) Die dem Gesellschafter hiernach zukommende Klagebefugnis erstreckt sich jedoch grundsätzlich nicht auf Ansprüche gegen den Geschäftsführer, der nicht auch Gesellschafter der GmbH ist. Ein Gesellschafter ist im Allgemeinen nicht befugt, den Schaden, den ein Dritter, der nicht in einer gesellschaftsrechtlichen Sonderbeziehung zu ihm steht, der GmbH zugefügt hat, als eigenen geltend zu machen. Dies gilt auch für den Schaden, den der dem Gesellschafter nicht durch eine solche Sonderbeziehung verbundene Fremdgeschäftsführer verursacht hat.

b) Ein Ausnahmefall, in dem nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Personengesellschaftsrecht die Gesellschafterklage gegen einen dritten Gesellschaftsschuldner zulässig ist, ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gegeben. Es kann daher auf sich beruhen, ob diese Rechtsprechung auch auf die GmbH anzuwenden und auf den Fremdgeschäftsführer zu erstrecken ist.

aa) Der einzelne Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts kann allerdings immer dann eine Gesellschaftsforderung einklagen, wenn er an der Geltendmachung ein berechtigtes Interesse hat, die anderen Gesellschafter die Einziehung der Forderung aus gesellschaftswidrigen Gründen verweigern und zudem der verklagte Gesellschaftsschuldner an dem gesellschaftswidrigen Verhalten beteiligt ist. Den klagenden Gesellschafter in einem solchen Fall auf den umständlichen Weg zu verweisen, zunächst die anderen Gesellschafter auf Mitwirkung an der Geltendmachung der Forderung zu verklagen, wäre bei Beteiligung des Beklagten am gesellschaftswidrigen Verhalten ein unnötiger Umweg.

bb) Eine Beteiligung des Beklagten zu 1 an dem behaupteten gesellschaftswidrigen Verhalten der Mehrheitsgesellschafterin, der Beklagten zu 2, ihn nicht wegen der unzureichenden Besicherung der Schweinefleischlieferungen haftbar zu machen, hat das Berufungsgericht aber nicht festgestellt. Ebensowenig hat es beurkundet, dass der Kläger dahingehenden Vortrag gehalten hat (§ 314 ZPO). Die pauschale Feststellung allein, dass der Beklagte zu 1 im Lager der Zweitbeklagten gestanden habe, erfüllt den Beteiligungstatbestand nicht.

c) Eine Öffnung der Gesellschafterklage für Ansprüche der Gesellschaft gegen den Fremdgeschäftsführer im Allgemeinen ist auch nicht angezeigt.

aa) Die Zulässigkeit einer Gesellschafterklage gegen den Fremdgeschäftsführer lässt sich nicht mit einer treuhänderischen Sonderrechtsbeziehung oder organstreitähnlichen Binnenbeziehung zwischen Gesellschafter und Geschäftsführer begründen. Der Fremdgeschäftsführer ist als Gesellschaftsorgan allein der Gesellschaft gegenüber treupflichtig. Die Zuständigkeit der Gesellschafter für Bestellung und Anstellung des Geschäftsführers nach § 46 Nr. 5 GmbHG führt zu keiner rechtlichen Bindung an den einzelnen Gesellschafter. Ansprüche der Gesellschaft gegen ihren Geschäftsführer mögen auch als Sozialansprüche bezeichnet werden, ohne dass mit dieser begrifflichen Festlegung etwas über die Reichweite des mitgliedschaftlichen Klagerechts des Gesellschafters zugunsten der Gesellschaft ausgesagt wird. Die Gesellschafterklage dient auch nicht dazu, Gleichbehandlung zwischen verklagbaren Gesellschafter-Geschäftsführern mit Fremdgeschäftsführern herzustellen.

bb) Aus § 148 AktG lässt sich für die Gesellschafterklage gegen den Fremdgeschäftsführer nichts gewinnen. Die Vorschrift ist auf die Aktiengesellschaft zugeschnitten und schließt außerhalb ihres Anwendungsbereichs eine actio pro socio im Aktienrecht aus. Sie kann schon deshalb kein Argument dafür liefern, die Gesellschafterklage im GmbH-Recht unter Verzicht auf ihre Anwendungsvoraussetzungen gegen die Geschäftsleitung zuzulassen. Die Gesellschafter einer GmbH sind zudem nicht in vergleichbarer Weise schutzbedürftig wie die Aktionäre, da jene über deutlich stärkere Mitwirkungs-, Kontroll- und Informationsrechte verfügen als die Aktionäre.

cc) Die Öffnung der Gesellschafterklage für Ansprüche gegen den Fremdgeschäftsführer ist in rechtsformvergleichender Perspektive auch sonst nicht veranlasst. Das am 1. Januar 2024 in Kraft tretende Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz - MoPeG) vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3436) lässt mit § 715b Abs. 1 Satz 2 BGB zwar zu, dass jeder Gesellschafter einen Anspruch der Gesellschaft gegen einen Dritten geltend machen kann, wenn es der dazu berufene geschäftsführungsbefugte Gesellschafter pflichtwidrig unterlässt und der Dritte an dem pflichtwidrigen Unterlassen mitwirkte oder es kannte. Der Gesetzgeber will mit dieser Regelung aber lediglich an die vom Bundesgerichtshof bereits aufgestellten Rechtsgrundsätze anknüpfen (RegE eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, BT-Drucks.19/27635, S. 155 und oben b)). Für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts erhält der durch die Rechtsprechung bereits bestimmte Anwendungsbereich der Gesellschafterklage dadurch eine gesetzliche Ausformulierung. Das mag durchaus als Beitrag zur Institutionenbildung verstanden werden, der aber jedenfalls nicht für eine weitergehende Zulassung der Gesellschafterklage gegen Fremdgeschäftsführer im GmbH-Recht spricht.

dd) Mehr Gewicht haben die für die Einbeziehung des Fremdgeschäftsführers in die Gesellschafterklage angeführten Effektivitäts- und Praktikabilitätserwägungen. Mit der dem einzelnen Gesellschafter nach dieser Auffassung im Interesse effektiver Anspruchsdurchsetzung zuzubilligenden Klagekompetenz geht allerdings zwangsläufig die Entwertung der Kompetenzen der Gesellschafterversammlung nach § 46 Nr. 8 Var. 1 GmbHG einher, die gute Gründe dafür haben mag, von der Verfolgung vermeintlicher, fragwürdiger und sogar zweifelsfreier Ansprüche gegen den Fremdgeschäftsführer abzusehen. § 46 Nr. 8 Var. 1 GmbHG macht die Verfolgung derartiger Ansprüche von einem Beschluss der Gesellschafter abhängig, weil dem obersten Gesellschaftsorgan überlassen werden soll, ob ein Geschäftsführer wegen einer Pflichtverletzung belangt und die damit verbundene Offenlegung innerer Gesellschaftsverhältnisse trotz der für Ansehen und Kredit der Gesellschaft möglicherweise abträglichen Wirkung in Kauf genommen werden soll.

Daher ist es vorzugswürdig, den Streit, ob die Anspruchsverfolgung im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt oder ihm widerspricht, zwischen den Gesellschaftern auszutragen. Weigert sich die Gesellschafterversammlung, einen Anspruch gegen den Fremdgeschäftsführer zu verfolgen, kann jeder Gesellschafter die Rechtsverfolgung durch Anfechtungs- und Beschlussfeststellungsklage erzwingen. Mit der Anfechtungsklage und der positiven Beschlussfeststellungsklage kann ein die Rechtsverfolgung billigender Beschluss der Gesellschafterversammlung erreicht (§ 46 Nr. 8 Var. 1 GmbHG) und ein besonderer Vertreter zur Durchsetzung des Anspruchs gegen den Fremdgeschäftsführer bestellt werden (§ 46 Nr. 8 Var. 2 GmbHG). Durch die Bestellung eines besonderen Vertreters kann sichergestellt werden, dass der Anspruch mit dem nötigen Nachdruck verfolgt wird . Diese Möglichkeit ist jedem Gesellschafter insbesondere dann eröffnet, wenn die Stimmabgabe gegen die Inanspruchnahme des Fremdgeschäftsführers missbräuchlich ist.

Soweit hingegen auch Vertreter der Auffassung, die die Gesellschafterklage gegen den Fremdgeschäftsführer zulassen wollen, hierfür grundsätzlich an dem Erfordernis eines Geltendmachungsbeschlusses festhalten, büßt die Gesellschafterklage ihren prozessökonomischen Vorteil gegenüber der Gesellschaftsklage ein, weil im Streitfall ebenfalls zwei Prozesse erforderlich werden. Wird die klageweise Erwirkung eines solchen Beschlusses, wie bei der Gesellschafterklage gegen einen Gesellschafter denkbar, im Einzelfall als unzumutbarer Umweg und deshalb als entbehrlich angesehen, begegnet dies wiederum dem Bedenken, dass der Streit über die Anspruchsverfolgung bei der Klage gegen den Fremdgeschäftsführer dem Regelungskonzept des § 46 Nr. 8 Var. 1 GmbHG zuwider nicht zwischen den Gesellschaftern ausgetragen werden würde.

Der Minderheitsgesellschafter kann zudem, wenn die Gesellschaftermehrheit es treuwidrig unterlässt, Ansprüche der Gesellschaft geltend zu machen, Schadensersatz im Wege der actio pro socio gegen die Mehrheitsgesellschafter geltend machen.

Danach noch verbleibende Erschwernisse gegenüber der gegen das Organ gerichteten Direktklage rechtfertigen sich grundsätzlich daraus, dass jeder Gesellschafter die Mitgliedschaft und das sie vermittelnde Klagerecht bereits mit den sich aus der gesellschaftsrechtlichen Binnenverfassung ergebenden Beschränkungen seiner Mitgliedschaftsrechte erworben hat.

ee) Ob Fallgestaltungen denkbar sind, in denen die Rechtsverfolgung über die Verbindung von Anfechtungs- und positiver Beschlussfeststellungsklage hinter den Erfordernissen effektiven Rechtsschutzes zurückbleibt und dem Gesellschafter deshalb die Klage gegen den Fremdgeschäftsführer eröffnet ist, ist hier nicht zu entscheiden. Ein solcher Fall liegt nicht vor.

III.

Das Berufungsurteil ist danach im Umfang der Revisionszulassung aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da sie zur Endentscheidung reif ist (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 3 ZPO).

Tenor

  1. Auf die Revision des Beklagten zu 1 wird das Urteil des6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom24. Januar 2020, berichtigt durch Beschluss vom 10. März 2020, im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als dieser zur Zahlung von 963.780,40 € nebst Zinsen an die G. GmbH i. L. verurteilt wurde. Im Umfang der Aufhebung wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Oldenburg vom 18. November 2014 zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des ersten und zweiten Rechtszugs tragen der Kläger zu 9/10 und die Beklagten gesamtschuldnerisch zu 1/10. Die Kosten des Revisions- und Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens trägt der Kläger.